„Landentwicklung 4.0“
Digitalisierung in Landentwicklung und
Landwirtschaft, moderne Beteiligungsverfahren

39. Bundestagung vom 26. bis 28. September 2018 in Bad Berleburg, Nordrhein-Westfalen

In Zusammenarbeit mit:

dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft,
Natur- und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen,
dem Zentrum für Ländliche Entwicklung (ZeLE),
der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Nachhaltige Landentwicklung (ArgeLandentwicklung)
und der Bezirksregierung Arnsberg

gefördert durch:
Landwirtschaftliche Rentenbank

Zertifiziert durch die Ingenieurkammer-Bau NRW
Die Veranstaltung wurde von der Ingenieurkammer-Bau NRW unter der Seminar-Nr. 44852 mit 13 Fortbildungspunkten für Beratende Ingenieure, Ingenieure und öffentlich bestellte Vermessungsingenieure als Fortbildung anerkannt.

Die Flurbereinigung bzw. Flurneuordnung ist nach wie vor eines der wichtigsten Instrumente zur Entwicklung der ländlichen Räume in Deutschland. Dies verdeutlicht etwa ein Blick auf die statistischen Jahresberichte zur Integrierten Ländlichen Entwicklung (ILE), die jedes Jahr vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) herausgegeben werden.

Nach dem aktuellen Bericht für das Jahr 2016 (siehe Statistischer Monatsbericht 2/2018 des BMEL, S. 80–88) ist festzustellen, dass zurzeit über 3.500 ländliche Bodenordnungsverfahren mit einer Fläche von insgesamt rund 2,6 Mio. ha in Bearbeitung sind. Der jährliche Output schwankt natürlich sehr stark und lag zum Beispiel im Jahr 2016 bei rund 220 Verfahren mit 110.000 ha, die durch Schlussfeststellung abgeschlossenen werden konnten. Nicht mit einbezogen ist hierbei der freiwillige Land- und Nutzungstausch sowie ein kleiner Restbestand an punktuellen Zusammenführungsverfahren zur Regelung des selbständigen Gebäudeeigentums in den neuen Bundesländern.

In den letzten Jahren erreichte der freiwillige Landtausch rund ein Zehntel der Neuordnungsleistung der hoheitlichen Verfahren und ist damit durchaus von Bedeutung für die ländliche Entwicklung. Entgegen den Erwartungen Anfang der 2000er Jahre konnte sich der freiwillige Nutzungstausch, also die Bodenordnung auf Pachtbasis, jedoch nicht durchsetzen und fristet eher ein Schattendasein im Vergleich zur Bodenordnung auf Eigentumsbasis.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass regional unterschiedlich rund 10 % der ländlichen Räume in ein Flurbereinigungs- bzw. Flurneuordnungsverfahren einbezogen sind. Dabei spielt die Unternehmensflurbereinigung mit über 500 Verfahren und insgesamt fast 500.000 ha Fläche schon seit Jahrzehnte eine wichtige Rolle zur eigentums-, nutzungs- und landschaftsverträglichen Realisierung von Infrastruktur- und anderen Großbauvorhaben.

Sie ist in einem hoch industrialisierten und dicht besiedelten Land wie Deutschland unbestritten notwendig. Andere Länder kennen dieses Instrument nicht, Deutschland wird hierum geradezu beneidet.

Eine Daueraufgabe ist ferner die Feststellung und Neuordnung der Eigentumsverhältnisse in den neuen Bundesländern sowie die Auflösung von Landnutzungskonflikten zur Unterstützung öffentlicher Vorhaben. Gerade die Maßnahmen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und Vorhaben zum Ausbau der örtlichen Infrastruktur zeigen, dass Planfeststellung und Enteignung oft die falschen Instrumente sind, sondern eine dialogorientierte Planung und Umsetzung im Konsens mit den Grundeigentümern und landwirtschaftlichen Betrieben als Flächennutzer wesentlich zielführender sind.

Hierzu ist das vereinfachte Flurbereinigungsverfahren zur Landentwicklung nach § 86 FlurbG mit der Zielstellung, Maßnahmen der Landentwicklung zu ermöglichen und Landnutzungskonflikte aufzulösen, besonders geeignet. Notwendig ist natürlich eine intensive Einbeziehung der Grundstückseigentümer und Flächennutzer, die weit über die gesetzlichen Mindeststandards des Flurbereinigungsgesetzes hinausgehen muss und auch moderne Methoden der Planungsvisualisierung und Beteiligung erfordert. Hierzu hat die Tagung technische Möglichkeiten, wie Augmented Reality und Web-GIS-Anwendungen, aufgezeigt und nachahmenswerte Best-Practice-Beispiele präsentiert. Diese Impulse sind mit großem Interesse aufgenommen worden.

Entgegen der landläufigen Meinung ist die Nachfrage und der Bedarf an Bodenordnungsverfahren in Zukunft weiter steigend. Ich möchte dies an vier Aspekten verdeutlichen, die sich auch in den folgenden Beiträgen der Tagung widerspiegeln.

1. Landtechnik und Grundstücksarrondierung: In der Landtechnik dürfte mit den heutigen Traktoren und Landmaschinen eine Entwicklungsgrenze in Bezug auf Größe und Schlagkraft erreicht sein. Sie hat dazu geführt, dass auch für westdeutsche Familienbetriebe Schlaglängen von 600 m und Schlaggrößen von mehr als 10 ha im Ackerbau angestrebt werden, sofern die Topographie und die Naturraumausstattung es zulassen. Noch vor 25 Jahren galten in Anbetracht der Mechanisierung Schlaglängen von 400 m und Schlaggrößen von 3–5 ha als ausreichend. Bis in die 1950er Jahre erfolgte die Neuordnung sogar noch für tierische Anspannung in der Außenwirtschaft mit Schlaggrößen von 1 ha und Schlaglängen von 200 m als Zielvorgaben. Vor diesem Hintergrund hat die Flurbereinigung zur Agrarstrukturverbesserung durch Grundstücksarrondierung nach wie vor große Bedeutung. So liegt zum Beispiel die durchschnittlich Feldgröße in Bayern nach INVEKOS-Daten unter 2 ha, 95 % der Ackerflächen entfallen auf Schläge von unter 5 ha Größe. Daher besteht für schätzungsweise drei Viertel der landwirtschaftlich genutzten Fläche weiterhin ein hoher Arrondierungsbedarf. In anderen Ländern, vor allem in den ehemaligen Realteilungsgebieten Südwestdeutschlands (Rheinland-Pfalz, südliches Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg) ist die Situation ähnlich und eine Neuordnung zur Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft ebenso dringend erforderlich.

2. Ländlicher Wegebau: Das heutige Netz der ländlichen Wege wurde sowohl in West- als auch in Ostdeutschland vor allem in den 1960er und 1970er Jahren ausgebaut. Danach kam der ländliche Wegebau außerhalb der Flurbereinigung fast zum Erliegen, wobei aus Kostengründen auch die Unterhaltung vielfach vernachlässigt wurde. In Anbetracht der Nutzungsdauer ländlicher Wege von etwa 50 Jahren besteht mittlerweile ein fast flächendeckender Erneuerungsbedarf. Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Wegenetz in Westdeutschland aufgrund der früheren Zielvorgaben für die Schlagstrukturen viel zu dicht ist und um etwa die Hälfte ausgedünnt werden muss, um die notwendige Arrondierung zu erreichen. Allein schon wegen der begrenzten Finanzmittel sind Wegenetzkonzepte notwendig, die Prioritäten setzen und den Ausbau bedarfsorientiert zeitlich strecken. Dabei ist die Kronenbreite der Hauptwirtschaftswege nach den Vorgaben der neuen Richtlinien für den Ländlichen Wegebau (RLW 2016) von bisher 4 m auf mindestens 5 m zu erweitern, um den heutigen Anforderungen landwirtschaftlicher Fahrzeuge gerecht zu werden. Sowohl die Ausdünnung auch als der Ausbau erfordern vielfach Maßnahmen der Bodenordnung, die schon jetzt zu einer verstärkten Nachfrage nach Flurbereinigungsverfahren mit agrarstruktureller Zielsetzung geführt haben.

3. Klimaanpassung: In diesem Kontext ist auch die Anpassung der Agrarlandschaften an die Erfordernisse des Klimawandels zu nennen. Nach den vorliegenden Prognosen werden die Jahresniederschläge in Mitteleuropa in etwa gleich bleiben. Es ist jedoch eine Verschiebung der Regenmengen um bis zu 40 % von den Sommermonaten in die Wintermonate zu erwarten, so dass in den zunehmend milderen Wintern ohne Schnee als Niederschlagspuffer und Bodenschutz vermehrt Hochwasserereignisse und Erosionserscheinungen auftreten werden. Ferner nehmen die Wetterextreme, insbesondere Sturm, Hagel und Regen zu, was dazu führt, dass auch in den trockeneren Sommern mit Starkniederschlägen zu rechnen ist. Die Klimaanpassung erfordert also sowohl Maßnahmen zur Wasserrückhaltung in der Fläche als auch besondere Anstrengungen zum Boden- und Erosionsschutz. Daher werden die klassischen landeskulturellen Maßnahmen der Flurbereinigung in Zukunft erheblich an Bedeutung gewinnen.

4. Energiewende und Holzmobilisierung: Holz ist mit prognostizierten Anteilen von fast 5 % bei der Strom- und 20 % bei der Wärmeerzeugung ein wichtiger Teil der Energiewende, wenn alle Reserven genutzt werden. Die Forstwirtschaft arbeitet in Deutschland allerdings nicht nachhaltig, weil wesentlich mehr Holz nachwächst als eingeschlagen wird und dadurch die Vorratsdichte im Wald kontinuierlich ansteigt. Von den insgesamt 11,4 Mio. ha Wald in Deutschland entfallen rund 3 Mio. ha auf den sog. Kleinprivatwald in der Hand von schätzungsweise mehr als 2 Mio. Waldeigentümern. Der Kleinprivatwald ist gekennzeichnet durch ein starke Besitzzersplitterung, oft fehlende Abmarkung der Grundstücke und unzureichende Erschließung durch Waldwege. Dies führt dazu, dass die Waldgrundstücke in vielen Fällen nicht zugänglich und nicht auffindbar sind und damit kaum ordnungsgemäß genutzt werden können. Unter diesen Voraussetzungen ist auch eine eigentumsübergreifende Bewirtschaftung in Form von Forstbetriebsgemeinschaften nach dem Bundeswaldgesetz (BWaldG) unmöglich. Daher verwundert es nicht, dass von den 11 Mio. m3 des jährlichen Zuwachsüberschusses allein 8 Mio. m3 auf den Kleinprivatwald entfallen. Will man dieses Potenzial im Rahmen einer nachhaltigen Forstwirtschaft als wichtigen Roh- und Energiestoff nutzen, müssen letztlich die Strukturmängel beseitigt werden. Die Notwendigkeit zur Holzmobilisierung hat in den letzten Jahren vor allem in den waldreichen Bundesländern zu einer verstärkten Nachfrage nach Waldflurbereinigungsverfahren geführt. Die DLKG hat die notwendigen Handlungserfordernisse schon früh auf ihrer 29. Bundestagung vom 15. bis 17. Oktober 2008 in Gummersbach thematisiert und Möglichkeiten zur Intensivierung der Waldneuordnung aufgezeigt (siehe Tagungsdokumentation in Heft 6/2009 der Schriftenreihe der DLKG). Fasst man die vorstehenden vier Entwicklungsstränge zusammen, besteht ein nahezu flächendeckender Neuordnungsbedarf, der natürlich regional unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Dieser steigenden Nachfrage steht ein drastischer Personalabbau gegenüber. In den letzten 30 Jahren waren die Flurbereinigungsverwaltungen tiefgreifenden Re- und Umstrukturierungsprozessen unterworfen, die deutschlandweit zu einer Halbierung des Personals geführt haben. Daher gilt es, diesen Kapazitätsverlust so weit wie möglich durch technische Innovationen in der Verfahrensbearbeitung aufzufangen. Darüber hinaus ist die Landentwicklung im stetigen Wandel begriffen. Durch den Einsatz neuer Technologien und die zunehmende Digitalisierung werden Prozesse optimiert und effizienter gestaltet. Dies ist sowohl in der Land- und Forstwirtschaft spürbar, als auch in der Bearbeitung von Flurneuordnungsverfahren. Gesellschaftliche Veränderungen haben auch dazu geführt, dass über die gesetzlichen Ansprüche hinaus neue Beteiligungsformen in der Landentwicklung Einzug gehalten haben.

Mit ihrer 39. Bundestagung 2018 hat die DLKG diese Thematik mit den Schwerpunkten "Neue Technologien im Bereich der Landentwicklung und Landwirtschaft" sowie "Neue Formate für die Bürgerbeteiligung durch intelligente Ansätze der Bodenordnung und Planung" aufgegriffen. Dazu wurden die aktuellen Trends und der Stand der Technik aufgezeigt, aber auch Visionen für die Zukunft entwickelt.